NEELE Ja, mehr Achtsamkeit und mehr Miteinander. Als der Lockdown kam, haben wir kurzentschlossen die Markthalle weiterhin geöffnet. Hinter uns stehen viele Produzenten, die glücklich und erleichtert waren, dass wir ihnen ihre Ware abgenommen haben, denn an Restaurants konnten sie diese nicht mehr abgeben. Viele Kunden haben unsere Anstrengungen wertschätzend begleitet. Und es sind neue kreative Ideen durch die noch intensivere Kommunikation mit unseren Händlern entstanden: Wir haben mit Produzenten aus den Vierlanden Tomatensoße hergestellt und eigene Bolognese mit einem Produzenten an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern. Und wir haben viel eingeweckt: Rote Beete, Rotkohl, Grünkohl, Kohlrabi sind nur einige der Produkte.
GIUSEPPE Was gerade wiederentdeckt worden ist, sind tatsächlich alte Methoden wie Fermentieren, Räuchern, Einlegen. Vielleicht besinnst du dich in solchen Zeiten wieder auf das, was mal deine Wurzeln waren. Das ruft Glückgefühle hervor, die man damals hatte, als man bei der Oma zu Besuch war und sie hat dein Leibgericht gekocht. Wer hat heute noch ein Leibgericht? Das hat mit der heilen Welt zu tun, die mal als Kind wahrgenommen hat und in solchen Zeiten besonders vermisst. Essen ist ein ganz großer Indikator für Liebe, Zuneigung und Wertschätzung.
HOLGER Das macht sich auch in der Küche bemerkbar. Es war zwar schon immer so, dass die Küche der Ort ist, wo das Leben pulsiert. Neu ist allerdings, dass es nicht mehr die Domäne der Hausfrau und Mutter ist. Er wird immer mehr ein Ort der gemeinsamen Gestaltung. Und inzwischen hat auch die digitale Welt längst Einzug gehalten. Auch wenn die Küche insgesamt mehr Möbel geworden ist: Die Technik ist sichtbar und will es auch bleiben. Sie wird aber zunehmend menschlicher, besser und einfacher zu bedienen und somit zum perfekten Partner. Sie ist der Helfer, der vieles einfacher macht und noch mehr Menschen erauthentisch sein. Man muss sich wiederfinden können.
GIUSEPPE Ich möchte für meine Gäste das beste Produkt in der schönsten und kreativsten Zubereitungsart. Es treibt mich als Koch an, mit Aromen, mit Texturen zu spielen. Mit neuen Zubereitungsformen und Konsistenzen. Aber ich liebe auch Klassik, etwa klassische Rezepte von meiner Großmutter wie ihre Nocchi. Das nährt die Seele. Ich würde es niemals verändern. Emotionen haben mich geprägt. Es gibt kein schöneres Kompliment, als wenn jemand zu mir sagt: „Das Gericht hat mich an meine Kindheit erinnert.“ Was ich gut fände, wäre mehr Streetfood. Ich wünsche mir, dass man mehr Qualität für weniger Geld findet. Es muss ehrlich sein, einfach gutes, ehrliches und bezahlbares Essen, wie man es in meiner Heimat Sizilien findet.
NEELE Es ist toll, etwas zu bewegen, sich weiterzuentwickeln. Da passiert ganz viel. Wir planen gerade eigene Gewächshäuser, die wir selbst bewirtschaften. Bei uns im Oberhafen gibt es viele kreative Menschen, die alle Bereiche der Kreativwirtschaft abdecken. Wir leben das pure Leben. Unser Oberhafen Urban Gardening-Project wird offen sein für jedermann. Es ist ein tolles Revier, ein ehemaliges Bahngleis mit der größten überdachten Halle Hamburgs. Da wird in den nächsten Jahren noch sehr viel passieren.
JOOST Bis wir Geld verdient haben, hat es echt lange gedauert. Wir hatte so einen Bock darauf, dass wir das alles hingenommen haben. Jetzt bekommen wir langsam mehr Sicherheit und einen stabileren Umsatz. Wir würden das Konzept gern deutschlandweit ausbauen. Aufgrund der Ware und Verfügbarkeit könnten wir ganz Deutschland beliefern. Aber wie regional ist das noch, wenn die Leute in München unsere Austern essen? möglicht, richtig gut zu kochen.
GIUSEPPE Unsere ganze Entwicklung hat in der Küche stattgefunden, am Feuer. Daraus hat sich Kulinarik entwickelt. Köche haben dabei unser heutiges Sein entscheidend geprägt. Daraus ist die Zivilisation entstanden, dass nicht mehr jeder jagen oder sammeln gehen muss.
JOOST Wir machen das immer noch: sammeln. Die regionale Beschaffung ist allerdings sehr anstrengend. Alles, was wir haben, versuchen wir am Wochenende zu verkaufen. Es gibt kein eigenes Lager, in dem wir unsere Ware zwischenlagern. Vielleicht haben wir deshalb keine Konkurrenz.