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Ein Liebesbrief an Linda

Story: ein Liebesbrief an Linda

"EINE ODER KEINE"

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Ein Liebesbrief an Linda

Liebe Linda,

ich mache mir ernsthaft Sorgen. Ich weiß, ein Liebesbrief sollte romantisch beginnen: Denke ich an Deine Augen, Bergkristallen ähnlich, klar und rein wie Dein Wesen, spüre ich Deine Haut, Samtvorhängen gleich, griffig und dunkel wie Dein Geheimnis, fühle ich… Oder so ähnlich. Aber den Quatsch lassen wir mal. Erstens kennen wir uns dafür zu lange. Zweitens hast Du keine Augen (ich bin nicht blind) und es heißt Schale, nicht Haut (ich weiß das). Und drittens war das kein Scherz, sage ich zögernd und zittere wirklich.

Linda: Bei mehr als 300 zugelassenen Arten ein Marktanteil von 1,4 Prozent

Du fragst: warum?

Wegen des Brexit, Du Nachtschattengewächs. Schon klar, Du bist zäh. Seit 1974, Deinem Geburtsjahr, hast Du Dich ja nicht nur mit all dem siegreich rumgeschlagen, was Dich auf dem Acker so erwartet. Trockenperioden. Regenperioden. Vom Kartoffelkäfer ganz abgesehen, diesem schwarz-gelb gestreiften Parasiten – der kann innerhalb kürzester Zeit ganze Felder von Dir kahl fressen. Doch Du hast noch schlimmere Sachen bravourös gemeistert. Das Bundessortenamt etwa. Das Saatgutverkehrsgesetz. Dazu Vollstreckungsbescheide, Beschlagnahmen und Oberschiedsgerichte.

Ich weiß, Du denkst ungern daran zurück…

an diese schlimme Stunde, Du ungleich Runde, aber es war Dein größter Erfolg. Da wollte Dich ein Pflanzkartoffelfabrikant – Motto: „Europlant züchtet Erfolg“ – Ende 2004 vom Markt nehmen, weil dessen Rechte nach 30 Jahren ausliefen. Obwohl Du bei mehr als 300 zugelassenen Arten einen Marktanteil von 1,4 Prozent er reicht hattest, Verbraucherliebling warst. Aber, pah: Bio-Bauern, Slow-Food-Bewegung und „Tagesthemen“- Moderator Ulrich Wickert kämpften für Dich. Für Dein saftig gelbes Inneres mit dem cremigen Aroma, leicht buttrig, leicht süß, intensiv und doch fein. Für Deine vielfältigen Einsatzmöglichkeiten: in der Suppe, mit Petersilie, als luftiger Stampf oder deftige Bratkartoffel.

Mehr Vitamin C als ein Apfel

Lediglich für Klöße taugtest Du festkochender Erdapfel nur bedingt.

Da musste man Dich schon lange lagern, bis Du mehlig wurdest – und meist warst Du vorher schon verzehrt. Jedenfalls: Um Dich wurde gekämpft. Weil Du eben nicht wässrig warst, nicht geschmacklos, kein Supermarktstandard, kein Industriediktat. Sondern ein Beispiel für Tradition und Vielfalt, in dem mehr Vitamin C steckt als in einem Apfel. Eben die eine.

Und dann, zack: Kartoffel des Jahres 2007!

Und dann, boing: Wiederzulassung! Tja, und das ist der Haken. Diese Wiederzulassung erteilte das britische Sortenschutzamt im Vereinigten Königreich. Was 2009 bedeutete, dass Du in allen EU-Ländern wieder als Saatgut genutzt werden durftest. Nur, was das 2017 bedeutet, weiß niemand. Es gibt Fotos von Premierministerin Theresa May, auf denen sie mit einem ganz und gar nicht lieblichen Gesichtsausdruck eine Tüte Pommes in der Hand hält. Ich will nicht in Panik verfallen, aber... Sag mal, alte Knolle, wie lang lässt Du Dich kühl und trocken lagern?

Dein Helmut

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